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Tuktoyaktuk – Der nördlichste Ort des kanadischen Festlandes

Dieser Artikel wurde zuletzt am 5. Juli 2019 aktualisiert.

Ungewöhnliche Orte habe ich viele besucht. Zu den mit Abstand ausgefallensten gehört aber auf jeden Fall das kleine Dörfchen Tuktoyaktuk in den Northwest Territories. Es soll der nördlichste Ort des kanadischen Festlandes sein, aber ein Blick auf die folgende Karte verrät, Tuktoyaktuk ist vielmehr eine Art Insel mitten im Nirgendwo. Mit einem kleinen Flugzeug bin ich in diesen ungewöhnlichen Ort geflogen, der im Sommer nur aus der Luft oder mit dem Schiff zu erreichen ist und habe einen Artikel für den Emsland Kurier mitgebracht. Nachfolgend veröffentliche ich diesen auch hier:

Tuktoyaktuk am Polarmeer in der Arktis in Kanada
Tuktoyaktuk scheint am Rande der Welt zu liegen – irgendwie tut es das auch

Weltstars wie Metallica besuchten das Inuit Dorf

Zeit ist in der Arktis ein dehnbarer Begriff. Im nördlichsten Dorf des kanadischen Festlandes haben die knapp 900 Einwohner jede Menge davon. Auf den ersten Blick erscheint Tuktoyaktuk, was in der Sprache der Inuit „sieht aus wie ein großes Karibu“ bedeutet, wie das sprichwörtliche Ende der Welt. Viel gibt es hier nicht. Eine holperige Schotterpiste, auf der dann und wann ein kleines Flugzeug landet, ein in die Jahre gekommenenes Flughafenterminal, von dem allmählich die blaue Farbe dem Rost weicht, dazu ein malerisches Hafenbecken, das nur einen paar kleinen Kuttern Platz bietet und einige, längst nicht mehr genutzte Radaranlagen der US-Amerikaner. Relikte aus der Zeit des kalten Krieges. Dazu eine Handvoll Öl- und Gas-Firmen, die nach satten Gewinnen durch große Rohstoffvorkommen unter dem arktischen Eis streben, einen Polizeiposten mit vier selten genutzten Gefängniszellen und einen Friedhof, auf dem jede Beerdigung im meterdicken Permafrostboden mittels Presslufthammer zum stundenlangen Kraftakt wird. Nicht zu vergessen natürlich ein Hotel, das bei keinem Bewertungsportal im Internet geführt wird und ohnehin dort nicht auf Höchstnoten hoffen könnte. Trotz alledem stiegen in der improvisiert erscheinenden Bretterbude schon Weltstars wie Metallica oder Courtney Love ab, die einst am wohl ungewöhnlichsten Ort der Welt für ein Rockkonzert das Eis der Arktis ein wenig zum Schmelzen brachten.

Häuser der Inuit in der Arktis von Kanada in Tuktoyaktuk
Perfekt an das Leben in der Arktis angepasst – Die Häuser in Tuktoyaktuk stehen auf Stelzen.
Blick über Dawson City und den Yukon - dem Zentrum des großen Goldrausch
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Alles Straßen in Tuktoyaktuk sind Sackgassen

Ansonsten ist es hier ruhig – sehr ruhig. Ganze vier Straßen führen durch Tuktoyaktuk, sie alle sind Sackgassen und enden abrupt an der Beaufortsee – dem Polarmeer, auf dem selbst im Sommer so mancher Eisberg von der Größe einer kleinen Ferieninsel treibt und dann und wann ein Wal eine Wasserfontäne in den Himmel schießt. Im Winter, dann wenn Tag und Nacht Dunkelheit herrscht, gibt es eine fünfte Straße. Eine Straße auf dem zugefrorenen Flussarm des Mackenzie- River, die über 180 km bis in die nächste nennenswerte Stadt führt. Wobei fraglich ist, ob Inuvik mit seinen etwas über 3400 Einwohnern das Attribut Stadt verdient hat.

Nach Tuktoyaktuk führt keine Straße. Das Inuit Dorf in der Arktis in Kanada ist nur mit dem Flugzeug zu erreichen
Das kleine Dorf mit den charakteristischen Pingos ist im Sommer nur mit dem Flugzeug zu erreichen.

Im Winter streifen Eisbären durch das Dorf

Fast könnte der Eindruck entstehen, hier oben – nur knapp unterhalb des 70 Breitengrades – würde gähnende Langeweile herrschen. Doch obwohl in Tuk, wie es von den Einwohnern liebevoll genannt wird, nicht der Bär steppt – sieht man einmal von den Eisbären ab, die im Winter durch den Ort streifen – ist die Realität eine andere. Auf einer gemeinsamen Reise mit den Schauspielerinnen Andrea Lüdke und Gerit Kling konnten wir uns davon überzeugen. Während Lüdke vor allem als Polizistin im Großstadtrevier von sich Reden machte, überzeugte Kling u. a. in der TV-Serie „Notruf Hafenkante“. Mit Städten am Wasser kennen sich also beide bestens aus.

Die Schauspielerinnen Gerit Kling und Andrea Lüdke sind von Tuktoyaktuk begeistert.
Die Schauspielerinnen Gerit Kling und Andrea Lüdke sind von Tuktoyaktuk begeistert.
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Flug über das Delta des Mackenzie-Stroms ans Polarmeer

Dass Hafenstadt nicht gleich Hafenstadt ist und Hamburg sich um Welten von Tuktoyaktuk unterscheidet, zeigt sich schon auf dem 40-minütigen Flug von Inuvik über die menschenleere Tundralanschaft bis an den Rand des Arktischen Ozeans. In geringer Höhe führt der Weg über das imposante Delta des gewaltigen Mackenzie-Stroms. Abertausende Kanäle durchziehen die sattgrünen Sumpfwiesen kurz vor Tuktoyaktuk, und immer wieder tauchen inmitten der platten Landschaft seltsame Hügel auf. Trotz eines hervorragenden schauspielerischen Talents gelingt es den beiden Promis an Bord nicht, die Begeisterung zu überspielen. Mit offenem Mund zücken sie wieder und wieder ihre Kamera und zielen damit auf die seltsamen Erhebungen. Hügel, die es nur in der Arktis gibt und deren Entstehungsgeschichte niemand hundertprozentig erklären kann.

Aus den Flugzeugfestern ergeben sich phantastische Ausblicke auf die Tundra und die Arktis in Kanada.
Aus den Flugzeugfestern ergeben sich phantastische Ausblicke.

Vieles hier in der Arktis wirkt wie von einer anderen Welt

Gerüchte machen an Bord die Runde, die sogenannten Pingos würden durch den schmelzenden Permafrostboden in die Höhe gedrückt. „Man könnte hier Star Wars drehen“, stellt Kling, kurz bevor die kleine Propellermaschine auf der staubigen Piste des James Gruben Airports aufsetzt, fest. Recht hat sie. Die Landschaft wirkt ebenso wie der Flughafen und alle anderen Häuser in diesem Ort wie von einer anderen Welt. Die kleinen Holzhütten stehen zum Schutz vor den Permafrostboden auf Stelzen.

Pingo in Tuktuyaktuk
Ein Pingo in Tuktuyaktuk
Im Flugzeug des Buschfliegers hat man perfekte Sicht auf die Berge und Gletscher des Kluane Nationalparks im Yukon in Kanada
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Es gibt Inuit-Donuts

In eine sind wir eingeladen. Winnie Gruben hat für uns gekocht. Es gibt getrockneten Salzfisch, Cranberry-Konfitüre und Inuit-Donuts. Keine Supermarktware. Dass der Mensch ein Jäger und Sammler ist, wird hier noch deutlich sichtbar. Die Ureinwohner dürfen jagen, was und wieviel sie benötigen. Rund 40 Belugawale werden pro Jahr erlegt. Dazu viele Fische, Robben, Karibus, Elche und Gänse. Kein Tier wird unnötig getötet – das verbietet die Eskimotradition. Alle Teile der Jagdbeute werden verwertet. Ob Fleisch und Innereien als Nahrung, Fell als Kleidung oder Knochen als Schmuck, auf dem Müll landet hier nichts. Wie geschickt die Inuvialuit, wie sich die Eskimos in der westlichen Arktis der Northwest Territories nennen, in der Verarbeitung sind, wird schnell klar, als Gruben uns einen Blick in ihren Kleiderschrank gewährt. Kunstvoll gefertigte Jacken, Mäntel und Mützen faszinieren nicht nur die beiden deutschen Schauspielerinnen. Die traditionelle Kleidung sieht nicht nur gut aus, sie schützt auch im Winter perfekt vor den eisigen Temperaturen, die in Tuktuyaktuk oft bis an die 50 Grad unter Null reichen.

Die Schauspielerinnen Gerit Kling und Andrea Lüdke probieren im Haus einer Inuit-Familie in Tuktoyaktuk die traditionelle Kleidung der Eskimos an
Winnie Gruben (Mitte) zeigt die traditionelle Inuit-Kleidung.

Ein natürlicher Kühlschrank im Permafrostboden für die Inuit

Bis 10 Meter unter die arktische Erde reicht der gemeinsame Dorfkühlschrank. Eine vereiste Leiter führt hinab in ein unterirdisches Labyrinth von 20 Kammern, in denen Gruben und ihre Nachbarn die Jagdbeute lagern. „Durch den Permafrostboden bleibt es dort unten immer gefroren“, berichtet Gruben. In den von glitzernden Eiskristallen besetzten Erdgewölben sind im Schein der Taschenlampe Karibuhälften und Schneegänse auszumachen, dazu einige gestapelte Tüten und Fässer mit Walfett. Wieder an der Oberfläche darf gekostet werden. Auf dem Speiseplan stehen Muktuk und Karibu. Beides nach traditioneller Eskimoart roh. Ersteres, die eingesäuerte Walhaut, verbreitet einen für Mitteleuropäer nur schwer zu ertragenden Geruch, der sämtlichen Appetit in Windeseile verfliegen lässt. Letzteres, das kleine Rentier-Steak, riecht schon vertrauter. Ein Renner in Europa dürfte die Roh-Version mit einer Marinade aus Walfett trotzdem nicht werden.

Icehouse im Permafrostboden der Arktis in Tuktoyaktuk
Bis 10 Meter unter die arktische Erde reicht der gemeinsame Dorfkühlschrank.
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Ein Diplom für einen Fuß im Polarmeer

Eine Erfindung haben die Einwohner von Tuktoyaktuk allerdings gemacht, die auch bei Europäern bestens ankommt: Jedem, der Touristen, die ihren Fuß ins selten über vier Grad warme Polarmeer halten, bekommen ein Diplom ausgehändigt. Im schmucken Rahmen weist es den Besitzer als Mitglied im „Arctic Ocean Toe Dipping Club“ aus. Jenem Club, den Leute angehören, die sich vielleicht nicht getraut haben vom Muktuk zu kosten, dafür aber ihren Zeh ins kalte Eiswasser gesteckt haben.

 Schauspielerin Andrea Lüdke im Gespräch mit einem Fischer in Tuktoyaktuk
In Tuktoyaktuk geht es ruhig und beschaulich zu. Auch die Fischer haben immer Zeit für einen netten Plausch.
Der kleine Airport von Tuktoyaktuk
Der kleine Airport von Tuktoyaktuk
Ortsschild von Tuktoyaktuk
Na, wer kann die Langversion des Ortsnamens aussprechen?
Inuit Dorf Tuktoyaktuk in der Arktis in Kanada
Der Ort hat seinen ganz eigenen Charme.
Tierfelle in Tuktoyaktuk von Trappern in Kanada
Am Straßenrand werden Tierfelle getrocknet.
Ich gönne mir ein Fußbad im arktischen Ozean. Auf ein Bad im Polarmeer und auf Schwimmen verzichte ich lieber.
Ich gönne mir ein Fußbad im arktischen Ozean. Auf ein Bad im Polarmeer verzichte ich lieber.

Thomas Limberg

Ich bin Thomas – das Gesicht hinter Breitengrad66. Schon seit 2010 nehme ich meine Leser in diesem Reiseblog mit auf Reisen. Unterwegs gibt es fast nichts, für das ich mich nicht begeistern kann. Ob fremde Kulturen, sportliche Herausforderungen, einzigartige Natur, schicke Hotels oder außergewöhnliche Kulinarik – ich bin immer neugierig auf Neues. Auf keiner Reise fehlen darf meine Kamera, denn Fotografie ist eine meiner größten Leidenschaften. Besonders stolz bin ich darauf, dass Breitengrad66 bei der renommierten Wahl zum Reiseblog des Jahres 2020 von Touristik PR unter die 20 besten gewählt wurde. Mehr über diesen Blog und über mich gibt es HIER zu lesen.

3 Kommentare

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  • Wow wirklich beeindruckend. Die Einwohner scheinen sehr gastfreundlich zu sein. Von solchen Orten wird viel zu wenig berichtet, ich danke dir also dafür, dass es jetzt so einen tollen Beitrag gibt! :)

    Es ist schön, dass sich jemand ganz aus der Nähe auch für die nordamerikanischen Ureinwohner und ihre Lebensweise interessiert.

    Viele Grüße
    Anna

    • Hallo Anna,
      danke für Deinen netten Kommentar. Es wäre sicher übertrieben, zu sagen, dass die Inuit gastfreundlicher als andere Menschen sind. Ich bin auch in anderen Ländern immer wieder herzlich aufgenommen worden, doch in Kanada ist es etwas ganz Besonderes. Ob Inuit oder Indianer, beide empfangen Gäste aus Europa in der Regel mit offenen Armen und berichten stolz über ihre Kultur. Das macht es dort so spannend.
      Viele Grüße
      Thomas

  • Oh, also dass Inuit gastfreundlicher sind als andere Menschen, wollte ich jetzt nicht behaupten! Eher dass es eine besondere Form ist und sie trotz aller wichtigen Traditionen dieses Volkes, offen ist. Ich denke, das ist ganz wichtig für den Erhalt der Inuit Kultur. Was meinst du?
    Viele Grüße
    Anna