Berlin Deutschland

Zu Besuch im Stasi-Knast Hohenschönhausen

Dieser Artikel wurde zuletzt am 10. Februar 2023 aktualisiert.

Das ehemalige Stasi Gefängnis Berlin Hohenschönhausen ist heute eine Gedenkstätte. Ehemalige Insassen, wie Karl-Heinz Richter, führen Besucher über das Gelände und geben Einblicke in eine düstere Welt. Ich habe an einer solchen Führung teilgenommen und war von dem, was ich dort in knapp zwei Stunden erlebte überwältigt:

Plötzlich wird es mucksmäuschenstill

Sie machen Lärm, spielen mit ihren Handys und toben umher. Vielen Schulklassen sieht man an, dass sie keine Lust auf eine Führung durch das ehemalige Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen haben. Doch immer dann, wenn Karl-Heinz Richter im dunklen muffigen Keller der Anstalt zu erzählen beginnt, wird es plötzlich mucksmäuschenstill und alle lauschen gebannt seinen Worten. 

Ehemaliges Stasi Gefängnis und Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen

“Mehrere Wochen konnte ich mich nicht waschen”

„Ich bin ein sogenannter Zeitzeuge“, berichtet der 66-Jährige während er vor einer der Angst einflößenden Kellerzellen in Hohenschönhausen steht. „Hier brachte man mich zunächst her. Mehrere Wochen konnte ich mich nicht waschen, bekam keine Medikamente und meine gebrochenen Beine juckten erbärmlich unter dem Gips“, so Richter.

Zeitzeuge Karl-Heinz Richter und das ehemalige Stasi Gefängnis und die heutige Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen

Beim Fluchtversuch mehrere Knochen gebrochen

1964 entschließt sich Richter zur risikoreichen Flucht von Ost-Berlin in den Westen. Am Bahnhof Friedrichstraße schleuste er zunächst einige Freunde über die stark bewachte Grenze. Er zeigt ihnen, wo es möglich ist auf den täglich in den Westen rollenden „Moskau-Paris-Express“ unentdeckt aufzuspringen. Als er es selbst versucht, stolpert er, bleibt zurück und bricht sich mehrere Knochen. Was folgt ist die Inhaftierung in Hohenschönhausen.

Ehemaliges Stasi Gefängnis und Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen

Mit Tränen in den Augen lauschen die Besucher den Schilderungen

Lange Jahre konnte er über das dort Erlebte nicht reden. „Ich begann zu saufen“, erinnert sich der sympathische Berliner. „Das ist aber vorbei. Heute arbeite ich alles auf, indem ich Besuchern zeige, was damals passierte.“

Ehemaliges Stasi Gefängnis und Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen

Und er hat viel zu erzählen. Teils mit Tränen in den Augen lauschen die Führungsteilnehmer seinen Schilderungen. Von unfassbaren Erniedrigungen und psychischer Folter ist die Rede. Von stundenlangen quälenden Verhören durch die Stasi, vom Versuch seine Würde zu brechen und von der quälenden Ungewissheit, was ihn als nächstes in der Haft erwarten würde ist die Rede.

Ehemaliges Stasi Gefängnis und Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen

Die Stasi wollte alles aus ihm herausquetschen

„Ich war für Mielke (Minister für Staatssicherheit der DDR) ein ganz besonderer Fall. Es muss ihn ins Herz getroffen haben, dass ich Freunde in den Westen gebracht hatte und selbst aus seiner geliebten DDR fliehen wollte. Deshalb gab es für mich auch nie medizinische Hilfe und meine schweren Verletzungen wurden immer schlimmer“, berichtet Richter, während er auf einem der langen vergitterten Flure im sogenannten Neubau des Gefängnisses steht. Für jeden Gefangenen gab es hier damals ein eigenes Verhörzimmer. Stundenlang wurde auch Richter darin verhört. Die Stasi wollte alles aus ihm herausquetschen. „Was ich damals nicht wusste und erst viel später aus den über 2000 Seiten Stasi-Akten über mich erfahren habe“, berichtet Richter, „war Mielke sogar bei einigen Verhören persönlich anwesend.“

Ehemaliges Stasi Gefängnis und Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen

Räume, in denen sich Gefangene nackt ausziehen mussten

Sehr emotional führt der ehemalige Insasse des Stasi-Knastes die Besucher durch den Komplex und zeigt ihnen weitere Stationen seines Martyriums. Es geht vorbei an Dunkelzellen, wo viele Gefangene ohne jegliches Zeitgefühl oft Tage verbringen mussten, hin zu Fotokammern, in denen Neuankömmlinge abgelichtet wurden und zu Untersuchungsräumen, in denen sich Gefangene nackt ausziehen mussten und zur weiteren Erniedrigung alle Körperöffnungen inspizieren lassen mussten.

Ehemaliges Stasi Gefängnis und Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen

“In der DDR ist so viel Unrecht geschehen, da muss man sich gegen auflehnen“

Richter erzählt von Bespitzelungen, Schikanen und Intrigen. Während er redet, herrscht eine Atmosphäre, in der man eine Stecknadel fallen hören könnte. Längst spielt niemand mehr mit dem Handy und längst ist auch der letzte Besucher völlig ergriffen vom bewegenden Schicksal Richters. Einer fragt ihn, ob er heute wieder so wie damals handeln würde: „Auf jeden Fall“, kommt die gefestigte Antwort wie aus der Pistole geschossen. „Es gibt ja heute noch Leute, die sagen in der DDR war nicht alles schlecht. Das ist völliger Blödsinn. Dort ist so viel Unrecht geschehen, da muss man sich gegen auflehnen“, urteilt Richter.

Ehemaliges Stasi Gefängnis und Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen

“Ich würde denen sogar die Hand geben”

Noch heute wohnen viele der ehemaligen Bediensteten in der unmittelbaren Umgebung des Gefängnisses. „In all den Jahren ist aber bis jetzt niemand von ihnen zu mir gekommen und hat auch nur annähernd ein Wort der Entschuldigung hervorgebracht. Ich würde mir wirklich wünschen, dass das einmal passiert.

Ehemaliges Stasi Gefängnis und Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen

Ich würde denen sogar die Hand geben und mir ihre Geschichte anhören“, so Richter.  Zu einem der letzten Gefangenen in Hohenschönhausen zählte übrigens ausgerechnet jener Erich Mielke, der über all die Jahre an der Stasi-Spitze stand. Er verbrachte dort eine Untersuchungshaft wegen Errichtung von Isolierlagern und der Aufnahme von RAF-Terroristen. Nach 1,5 Jahren wurde er auf Antrag seines Anwaltes wegen schlechter Haftbedingungen in die JVA Moabit verlegt.

Ehemaliges Stasi Gefängnis und Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen

Nützliche Infos zum Besuch des Gefängnisses

Führungen:
Die Gedenkstätte Hohenschönhausen ist nur im Rahmen einer Führung zu besichtigen. Montags bis freitags finden diese jeweils um 11, 13 und 15 Uhr statt. An Sams-, Sonn- und Feiertagen werden die Führungen zwischen 10 und 16 Uhr stündlich angeboten. Einzelpersonen und Kleingruppen bis zu sechs Personen benötigen keine Voranmeldung.

Anreise:
Am einfachsten ist die Gedenkstätte vom Alexanderplatz aus zu erreichen. Von hier fährt die Straßenbahnlinie M 5 zur Haltestelle Freienwalder Straße. Diese befindet sich fünf Minuten Fußweg von der Gedenkstätte entfernt.

Weitere Infos:
Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Besucherdienst, Genslerstr. 66, 13055 Berlin, Tel.: 030/98 60 82 30, Internet: www.stiftung-hsh.de.

Lesetipps zum Stasi Gefängnis Hohenschönhausen*

Nach meinem Besuch in Hohenschönhausen habe ich mich mehr und mehr für die Geschichte hinter dem Gefängnis interessiert. Unzählige Bücher über den Knast und die Stasi habe ich seither gelesen. Besonders empfehlenswert finde ich davon vor allem zwei Titel. Zum einen ist es “Mit dem Moskau-Paris-Express in die Freiheit” – die Autobiografie von Karl-Heinz Richter, der mich in Hohenschönhausen durch das Gefängnis geführt hat und zum anderen das Buch Hohenschönhausen – Stasi-Häftlinge berichten.

Was andere Blogger über Hohenschönhausen geschrieben haben

Synke berichtet unter http://synke-unterwegs.de/tun-mit-herren-besuch-berlin/ von einer Tour mit einem Historiker durch das Stasi-Gefängnis. Phil hat seinen dortigen Besuch mit einem Abstecher in die Berliner Unterwelten kombiniert und zeigt das Ergebnis hier: http://killerwal.com/ein-besuch-in-den-berliner-unterwelten-gedenkstatte-und-stasi-knast-berlin-hohenschonhausen/.  Sandra nimmt uns auf http://www.schoenerblog.de/gedenkstatte-hohenschonhausen/ ebenfalls mit auf einen Rundgang durch das Gefängnis und Tine zeigt uns unter http://www.unterwegsinberlin.de/radtouren-berlin/hohenschoenhausen-1, dass in Hohenschönhausen nicht alles düster ist.

Thomas Limberg

Ich bin Thomas – das Gesicht hinter Breitengrad66. Schon seit 2010 nehme ich meine Leser in diesem Reiseblog mit auf Reisen. Unterwegs gibt es fast nichts, für das ich mich nicht begeistern kann. Ob fremde Kulturen, sportliche Herausforderungen, einzigartige Natur, schicke Hotels oder außergewöhnliche Kulinarik – ich bin immer neugierig auf Neues. Auf keiner Reise fehlen darf meine Kamera, denn Fotografie ist eine meiner größten Leidenschaften. Besonders stolz bin ich darauf, dass Breitengrad66 bei der renommierten Wahl zum Reiseblog des Jahres 2020 von Touristik PR unter die 20 besten gewählt wurde. Mehr über diesen Blog und über mich gibt es HIER zu lesen.

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