Dieser Artikel wurde zuletzt am 10. Februar 2023 aktualisiert.
Für die einen heißen sie Trinkhallen, für andere einfach Buden oder Kioske. Doch egal wie man sie nennt, sie sind eine feste Institution im Ruhrgebiet und in dieser Form sicher einzigartig in Deutschland. Rund 18.000 soll es im Pott davon geben. Ebenso wie die Fördertürme der Zechen und die Schornsteine der Fabriken prägen sie das Bild der Städte zwischen Dortmund und Duisburg. Dabei haben sie eine lange Tradition. Entstanden sind sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Damals war die Industrialisierung an ihrem Höhepunkt angelangt und vor allem unter den zahlreichen Bergmännern, war Alkoholmissbrauch und Trunksucht weit verbreitet. Während der Arbeit Alkohol zu trinken war durchaus üblich. Einige Zechenbesitzer zahlten sogar einen Teil des Lohns in hochprozentiger Form aus. Um einem allmählichen Verfall der Sitten entgegen zu steuern, stellten immer mehr Gemeinden Grundstücke für Trinkhallen zur Verfügung. Hier gab es fortan günstig Mineralwasser zu kaufen, das sonst kaum erhältlich war. Man versprach sich davon eine Hebung der “Volksgesundheit”. Im gesamten Revier schossen die Trinkhallen wie Pilze aus dem Boden. Das Angebot reichte schnell weit über Mineralwasser hinaus. Während anfangs nur kleine Snacks angeboten wurden, entwickelten die Buden vor allem in den Wirtschaftswunderjahren ihr heutiges Aussehen. Zeitschriften, Zigaretten, Süßigkeiten – angeboten wurde und wird fast alles. Entsprechend bunt und faszinierend sehen die Trinkhallen auch heute noch aus. Ich habe den 1. Tag der Trinkhallen, der am 20. August, gefeiert wurde einmal zum Anlass genommen und bin quer durchs Revier gefahren. Zwischen Recklinghausen und Duisburg habe ich die unterschiedlichsten Trinkhallen besucht und mit ihren Besitzern gesprochen.
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Kiosk Moske
Ich starte meine Tour um kurz nach 10 Uhr in Recklinghausen. Hier steht der Kiosk Moske. Rein äußerlich für mich einer der schönsten im Ruhrgebiet. Hätte ich eine Modelleisenbahn, würde ich diesen dafür nachbauen und hätte ein kleines Highlight auf der Anlage. Tatsächlich ist die Bude eine ganz besondere. Über 100 Jahre soll sie bereits an ihrem Standort in der Königstraße stehen. Ihre heutigen Besitzer betreiben die Trinkhalle seit inzwischen acht Jahren. Er verrät mir, dass er das ganze als eine Art Hobby sieht. Da er auch noch einen anderen Beruf hat und sich gerade um den Aufbau einer Musikanlage kümmert, ist er schwer im Stress. Am Abend soll hier Livemusik gespielt und der Tag der Trinkhallen gefeiert werden. Zwischendurch kommt Kunde und Kunde. Ein Päckchen Zigaretten, eine Bild, und was zu Trinken wandern durch das Verkaufsfenster. Hier ist auch morgens schon ordentlich etwas los. Ich will nicht weiter stören und fahre weiter zur nächsten Trinkhalle.
Trinkhalle am Stadtgarten
Der weitere Weg führt mich nach Herne. Genauer gesagt zur Trinkhalle am Stadtgarten. Auf den Fensterbänken stehen bunt blühende Blumenkästen. Davor eine gemütliche Bank. Pinke Luftballons machen auf den Tag der Trinkhallen aufmerksam. Im Inneren ein ähnlich einladendes Bild. Die Bude ist liebevoll eingerichtet. Kleine Clownfiguren stehen auf einem Regal. Daneben grüßt ein lustiger Miniatur-Motorradfahrer. Die Behälter mit den bunten Bonbons sind hübsch aufgestapelt. Man sieht der Trinkhalle an, dass Margret Reinhart, die schon als Kind hier einkaufte und seit sieben Jahren selbst die Bude betreibt, ihr ganzes Herzblut hineinsteckt. Für sie ist die Trinkhalle ein Stück gute alte Zeit. Es geht um Entschleunigung und darum, Menschen zusammen zu bringen, verrät sie. Wer in die Trinkhalle kommt, soll sich wohlfühlen und im Idealfall für einen Moment seine Sorgen vergessen. Dass soll eigentlich fast immer gelingen. Tatsächlich hat sie Recht. Während wir plaudern, vergesse auch ich etwas die Zeit und fühle mich pudelwohl. Stundenlang könnte ich hier bleiben und weiter ihren Geschichten lauschen. Wie sie davon erzählt, dass die Kundschaft bunt gemischt ist, dass Syrer, Griechen, Russen und Polen kommen. Dass es eigentlich nie irgendwelche Probleme gibt. Dass man sich als große Familie sieht oder dass sie auch schon mal für ein syrisches Flüchtlingskind, dass alleine in Deutschland ist, als Ersatzoma einspringt. Toll, dass es so etwas gibt, denke ich mir und mache mich erwartungsvoll auf den weiteren Weg.
Fortuna Bude im Heimatmuseum Herne
Gegen Mittag erreiche ich eine weitere Bude in Herne. Wahrscheinlich ist es sogar die älteste Trinkhalle im Ruhrgebiet. Ganz genau kann man dies nicht mehr sagen. Sicher ist nur, dass sie um 1900 in Gelsenkirchen gebaut wurde und bis 1970 in Wanne-Eickel stand. Dass sie jetzt in Herne steht, verdankt sie dem dortigen Heimatmuseum, auf dessen Hof ich sie jetzt sehen kann. Eine Mitarbeiterin des Museums ist dort gerade damit beschäftigt die Schaufenster der Bude zu dekorieren – und das ganz im Stile von Damals. Bis zum Abend, wenn auch hier der Tag der Trinkhallen mit Livemusik gefeiert wird, soll alles so aussehen, wie in den 70er Jahren. Einiges kann ich schon jetzt sehen. Comics hängen in den Fenstern und Getränkeflaschen, die hergestellt wurden, bevor ich geboren wurde stehen auf einem Regal. Zu gerne hätte ich die fertig dekorierte Bude gesehen, doch dann hätte ich keine Zeit mehr gehabt, meinen kleinen Roadtrip fortzusetzen.
Trinkhalle Dieter Tölle
Auch an der nächsten Station meiner Reise, wäre ich am liebsten direkt etwas länger geblieben. In Gelsenkirchen hat man sich in der Trinkhalle Dieter Tölle zum Tag der Trinkhallen etwas ganz besonderes einfallen lassen. Ein Kicker-Turnier stand hier am Nachmittag auf dem Programm. Da ich in dieser Disziplin eh fast immer verloren habe, hätte ich wahrscheinlich ohnehin keine Freude daran gehabt. Stattdessen erfreue ich mich an den bunten Auslagen im Kiosk. Ein ganzes Fenster ist mit Süßigkeiten dekoriert. Lakritzstangen für 2 Cent, Ufoteller für 5 Cent – das sind noch Preise. Der Kiosk dient zugleich als Nahversorger für die gesamte Nachbarschaft, lasse ich mir sagen. Kartoffeln, Eier, Zwiebel und Schreibwaren sind ebenso zu haben wie Getränke, Eis oder Tabak. Hausgemachte Frikadellen und Schnitzel, belegte Brötchen – eigentlich gibt es hier fast alles, was man braucht. Typisch Trinkhalle eben!
Paulis Eck
Allein in Essen haben insgesamt 45 Kioske am Tag der Trinkhallen teilgenommen. Natürlich war es unmöglich, diese alle zu besuchen. Ich beschränkte mich auf einen, dessen Bild mir vorab im Internet besonders positiv aufgefallen war. Es ist die fast schon romantisch wirkende Trinkhalle Paulis Eck an der Hospitalstraße. Betreiber Thomas Paul ist ein echtes Essener Original. Man sieht ihm seine Heimatverbundenheit an. Nicht nur an der Bude finden sich die Vereinswappen des lokalen Fußballvereins auch er selbst trägt ein Trikot von Rot Weiß Essen. Er erzählt mir, dass er schon als Kind an dieser Bude seine Bonbons gekauft hat und dass hier vieles noch immer wie früher ist. Bei den Kindern seien Süßigkeiten und Wassereis noch immer der Renner. Er lädt mich ein, seine Bude von innen zu fotografieren und ich kann mich an den bunten Ansichten kaum satt sehen. Hinter der Bude, auf der benachbarten Wiese, ist währenddessen eine ganze Scharr von Helfern damit beschäftigt eine Art Biergarten für den Abend herzurichten. Der Grill wird mit Kohle befüllt und ein Musiker, der abends für Stimmung sorgen soll, trudelt ein. Ich will noch mehr Buden sehen und ziehe weiter.
Kiosk Prosper
Ich fahre durch Bottrop, bin plötzlich aber wieder in Essen. Im Pott verliere ich immer wieder die Orientierung. Ohne Navi wäre ich aufgeschmissen. Jetzt lotst mich dieses zum Kiosk Prosper. Eine Trinkhalle, die seit über 50 Jahren besteht. Ich habe davon alte Fotos gesehen und bin freudig überrascht, dass der Kiosk heute eigentlich noch genau so aussieht. Alles ist liebevoll geschmückt. Vor der Trinkhalle lassen es sich einige Gäste in der Sonne an Stehtischen gut gehen. Das dies möglich ist, dafür sogt Beatrix Natrop. Sie versorgt die Kunden mit fast allem – und das sogar ab 4 Uhr morgens. Irgendwie wirken die ganzen Trinkhallen so schön nostalgisch auf mich – der Roadtrip hat etwas von einer Zeitreise. Ich fühle mich an meine eigene Kindheit erinnert. An eine Zeit, in der ich mein Taschengeld zum Kiosk in der Nachbarschaft getragen und mich dort mit Lakritzschnecken und weiteren Süßigkeiten versorgt habe. Als ich zum Fotografieren in der Bude eingeladen werde und dort die ganzen bunten Kästen mit den vielen Süßigkeiten sehe, kann ich nicht anders. Ich muss mir jetzt eine gemischte Tüte voller Leckereien kaufen. Beatrix Natrop drückt mir mit einem herzlichen Lachen eine Tüte in die Hand und will mir diese schenken. Dass ich lieber bezahlen möchte, lässt sie nicht gelten. Auch das ist Ruhrpot – irgendwie liebe ich es!
Blaues Büdchen
Auf meinem weiteren Weg, der mich nach Duisburg führt, habe ich jetzt reichlich zu Naschen. Ich stelle fest, dass die kleinen ovalen und spitz zulaufenden Bonbons noch genau so schön zwischen den Zähnen kleben wie früher. Als ich in Duisburg ankomme, ist meine Tüte fast leer. Voll ist es dafür vor dem “Blauen Büdchen” – und das mal so richtig. Inzwischen ist es 18 Uhr und der Tag der Trinkhallen nimmt langsam richtig Fahrt auf. Bestimmt 200 Leute genießen rund um die Bude, die seit 1905 besteht, die untergehende Sonne. Unter dem Titel “Eine bunte Tüte für 50 Pfennig” lesen Ruhrgebietsautoren Geschichten. Ich lausche eine Weile und werde dann von lauter Musik abgelenkt. Orientalisch klingende Klänge wummern herüber. Ich bin neugierig, woher diese kommen und mache mich auf zu einem kleinen Spaziergang in diese Richtung.
Shop 2 Go
Schnell wird mir klar, dass ich dabei auf eine weitere Bude, die am Tag der Trinkhallen teilnimmt stoßen werde. Es ist der “Shop 2 Go”. Sicher keine Trinkhalle im klassischen Sinne, sondern fast schon ein kleiner Supermarkt – aber auch das ist Ruhrpott. Die türkische Band, die auf dem Platz davor spielt, lässt es richtig krachen. Der Sound muss in ganz Duisburg zu hören sein. Immer mehr Menschen strömen herbei und feiern. Keine Frage, jetzt ist der Tag der Trinkhallen in vollem Gange. Ich bin jedoch nicht gerade das Feierbiest. Ich mag eher die ruhigen Töne und meide eher große Feiern. Für mich neigt sich deshalb der Tag der Trinkhallen dem Ende entgegen. Ich blicke zurück auf einen ereignisreichen Tag, der mich durch die Straßen des Potts zu den unterschiedlichsten Menschen führte. Gleichzeitig freue ich mich auf ein weiteres Highlight, das mich an diesem Abend erwarten wird. Ich werde in einem Kanalrohr übernachten. Doch das ist eine andere Geschichte, von der ich demnächst erzählen werde.
Noch mehr Infos über die Trinkhallen im Ruhrgebiet
Passend zum Tag der Trinkhallen haben die Ruhrpoeten ein Buch über die zum Kult gewordene Einrichtung unter dem Titel “Budenzauber” veröffentlicht. Dieses ist u. a. HIER* zum Preis von 7,95 Euro erhältlich.
- Ruhrpoeten e.V. (Autor)
[…] Ein Trinkhallen Roadtrip im Ruhrgebiet von Thomas. […]
[…] Thomas mit nem Roadtrip zum Tag der Trinkhallen […]
Hallo Thomas,
was für eine coole Idee mit dem Trinkhallen-Roadtrip und auf jeden Fall spannend ein bisschen was zu den Hintergründen der Trinkhallen zu erfahren. Ich wohne momentan in Köln und liebe die Büdchenkultur hier. Bin direkt motiviert bei meinem Stammkiosk ne bunte Tüte holen zu gehen.
Liebe Grüße
Marie
Hallo Marie,
bring mir bitte auch eine bunte Tüte mit ;-)
Freut mich, dass du diese Kultur auch so magst.
Liebe Grüße
Thomas